Ich habe gerade was falsch gemacht und meine literarischen Ergüsse nicht gespeichert. Eine Stunde Schreiberei einfach weg, da brauch ich einen Schluck Whiskey, bevor ich nochmals anfange, auch wegen der Verdauung. Mit der hatte ich aber hier eh noch keine Probleme.
Mein Stammtaxifahrer wartete schon auf mich. Es ist ein älterer Mann mit weißem Haar und Bart und einem unaufgeregten Fahrstil, er kommt auch mit wenig Hupen aus. Er entschuldigt sich sogar, dass er gestern nicht da war und beklagt sich über die anderen undisziplinierten Autofahrer und Fußgänger. Diese gehen zu mindestens 2/3 auf der Fahrbahn, auch wenn der Gehsteig begehbar wäre. Dieses Verhalten ist noch ein Überbleibsel aus einer Zeit, wo hauptsächlich Ochsenkarren unterwegs waren, die man heute aber nur mehr vereinzelt in der Stadt sieht. Es passt aber nicht zu dem Verkehrschaos dieser Millionenmetropole.
Gestern habe ich mich bei Fabian von Genovate (dem Kursveranstalter) erkundigt, wann und wo ich am Freitag meine Prüfung haben werde. Er hat mich auf heute vertröstet, muss ihn daher nach der Mittagspause gleich besuchen. Unser Kursleiter teilt uns zu Beginn mit, dass heute bereits um 15 Uhr Schluss sei, es ist nämlich der letzte Tag des Ganesh-Festivals, das Ganesh Visarjan.
Auch ok, dann werde ich halt im Hotel weiterlesen, denke ich mir. Nach der Mittagspause teilt mir Fabian mit, daß er mit heute nichts sagen kann, es sei ja Ganesh-Feiertag. Jetzt bin ich aber gespannt, was mein Schneider machen wird, der mich auch von gestern auf heute Abend für die Anzuganprobe vertröstet hat. Meine indischen Kurskollegen lachen nur und meinen, dass sicher zugesperrt sein werde. Und das wissen die nicht alle schon gestern? Mein (Vor-)Urteil wird wieder bestätigt, dass die Inder nicht Nein sagen, um in keine Konfrontation zu kommen. Wenn dann etwas nicht hält, sind sie ja dann eh nicht dabei und haben mich mit ihrem Nein nicht enttäuscht. Immer wieder so aufzulaufen, damit kann man als Europäer nur sehr schwer umgehen und das macht die Zusammenarbeit über alle Kulturen und Zeiten und Entfernungen hinweg nicht wirklich einfach.
Am Heimweg macht der Taxifahrer einen Umweg, er meint die Straße sei verstopft. Als ob das etwas Neues wäre! Erst als wir zu Kreuzung beim Mumbai Central Bahnhof kommen, weiß ich, was er meinte. Tausende Menschen tanzen und singen, machen Musik mitten auf der Straße und dazwischen fahren die LKWs in allen Größen mit den Ganeshas in allen Größen. Ich gehe rasch zum Internetpoint und rufe meine Mails ab und skype mit Evi, dann geht’s ins Hotel, ich will ja weiterlernen. Das ist aber leichter gesagt als getan bei diesem Lärm. An den normalen Verkehrslärm und das Hupen habe ich mich ja schon gewöhnt, aber das schlägt alles. Ich beschließe daher, mich auch ins Geschehen zu stürzen.



Man wird von diesem Sog sofort mitgezogen, aber nicht auf ungute Art, es passiert einfach. Als ich zu fotografieren beginne, bin ich sofort von einer Schar von Kindern umringt, die herumtollen und unbedingt auf ein Foto wollen. Ich mache ihnen natürlich den Gefallen, und sehe dann zu dass ich weiterkomme. Auf einmal bin ich auch mitten in eine Gruppe hineingezogen, ich erhalte ein oranges Band um die Stirn gebunden, den roten Strich auf die Stirn, die rote Farbe über den Kopf, und soll mittanzen. Also Hände in die Höhe und 20 Sekunden mitwiegen, dann reichts, sonst komme ich nicht mehr raus aus der Gruppe, wenn ich mich zu sehr „anfreunde“.

Auf den Fahrzeugen sind Ganeshas in allen Größen, eine prächtiger wie der andere. Und jedes Auto wird von einer singenden, tanzenden Menschengruppe begleitet, und je lauter man ist desto besser. Das alles erinnert an tausend Fronleichnamsprozessionen gleichzeitig, vermischt mit einem Rave, also eigentlich unvorstellbar. In der Zwischenzeit ist der Akku der Kamera leer, also gehe ich zum Hotel zurück, ich möchte ja auch noch versuchen, meinen Anzug zu probieren. Die rote Farbe geht beim Duschen überraschend leicht runter, das T-Shirt muss in die Wäsche. Die Shoppingmall ist geschlossen, mein Urteil ist wieder einmal bestätigt. Warum kann der Schneider am Vorabend nicht sagen, dass es da nicht geht, aber… siehe oben!
Während der Akku noch auflädt, versuche ich in den Kursunterlagen zu lesen, aber gebe bald auf, es ist einfach zu laut. Dann geht’s wieder hinein ins Geschehen. Der Lärm, die Farben, die Gerüche, der Gestank, es ist unmöglich das alles so wiederzugeben, wie es wirklich ist, sogar die Fotos sind nur ein müder Abklatsch dessen, was sich hier abspielt. Ein Ganesha ist schöner (wir Europäer würden auch meinen, kitschiger) als der andere und ich fotografiere und fotografiere. Und wieder bin ich mitten in einer Gruppe, muss mittanzen und versuche, wieder herauszukommen, ohne unhöflich zu sein. Immer wieder muss ich noch einmal abdrücken, alle freuen sich dann.
Mittlerweile ist schon mehr als eine Stunde vergangen und ich bin schon recht weit gegangen, das Gedränge wird immer größer, aber es dürfte trotzdem noch ein schönes Stück bis zur Bucht von Chowpatti sein, also drehe ich um, ich will noch vor Mitternacht im Hotel sein, sonst kann ich mich morgen Vormittag nicht wach halten. Da nützt selbst das Redbull mit der Dose aus Enzesfeld, produziert nur einige 100m von mir daheim entfernt, nichts. Unterwegs frage ich zur Sicherheit einen Polizisten nach dem Weg, verirren möchte ich mich in dem Chaos, wo man kein Taxi bekommt, hier nicht. Er erklärt es mir höflich und genau und ruft mich dann nochmals zurück und bittet mich auch ihn und seine Kollegen zu fotografieren, sie würden nie auf einem Bild sein. Wie immer werde ich gefragt von wo ich komme und muss den Unterschied zwischen Austria und Australia klären, wie heute mindestens schon zehnmal.


In meinem Aufzug werde ich von den Einheimischen wohlwollend bestaunt, besonders die Frauen finden das anscheinend toll, das sieht man an ihrem verschmitzen Lächeln und den blitzenden Augen, die nicht ausweichen, aber gar zu offensichtlich darfs auch nicht sein. Ich bin dann doch froh, beim Hotel zu sein und dem Trubel zu entkommen und schlafe trotz des Lärms rasch ein.
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11: Mumbai, 26.9.2007 – Leider kein SAP Test








