15: Ein Rückblick mit den Augen von 2024

Ich erinnere mich noch immer gerne an meinen ersten Besuch in Indien, wenn es auch ein absoluter Kulturschock war, als ich in der Nacht in Hyderabad am uralten Flughafen Begumpet landete und nicht wie vereinbart mit einem Taxi abgeholt wurde. Schon gut ein Jahr später, nach der Eröffnung des Rajiv Gandhi International Airport im März 2008 stellte Begumpet den gesamten kommerziellen Flugetrieb ein.

Dafür übertraf das Hotel rasch meine Erwartungen und auch an das scharfe Essen gewöhnte ich mich recht rasch. Ich habe auch alle möglichen Gewürze mit nach Hause genommen, die man heute schon fast alle auch bei uns im Supermarkt bekommt, damals waren sie aber noch sehr exotisch.

Ich hatte einige Wochen vorher gerade zum Rauchen aufgehört, da half mir sehr, daß überraschenderweise im Hotel und im ganzen Schulungszentrum von Siemens strengstes Rauchverbot herrschte, strenger als damals bei uns in Wien. Aber ich fuhr trotzdem mit den Kollegen (im ersten Kurs in Hyderabad waren wir nur Männer, in Mumbai war das dann nicht mehr so) in den Pausen vom elften Stock hinunter und ging mit ihnen rauchen. Das war für mich ein ganz guter Test, nicht rückfällig zu werden und ich bin es bis heute nicht geworden.

Auf dem Moped durch den indischen Stadtverkehr, ein Erlebnis der besonderen Art

Eine weitere spannende Herausforderung war der Streik der Taxifahrer, der sich über fast eine Woche hinzog. Sie wehrten sich gegen die Umstellung auf digitale Taxameter, die natürlich viel schwerer zu manipulieren waren. Das Hoteltaxi war nicht immer einfach zu bekommen und kostete mehr als das zehnfache eines 3-Wheelers und war für meine indischen Kollegen unbezahlbar. Ich hätte aber sonst auch nie das Erlebnis gehabt, den indischen Großstadtverkehr vom Moped meines Kurskollegen aus wirklich auf Tuchfühlung zu erleben. Die Streiks wurden sehr militant geführt, laut einem Zeitungsbericht wurde schon der eine oder andere Streikbrecher von den Kollegen verprügelt. Einen umgeworfenen 3-Wheeler habe ich ebenfalls gesehen.

Wie man am Bild unten sieht, hat sich am Verkehrsgeschehen auch 2024 nichts geändert.

Bombenanschläge bald nach meinem Besuch

In der beeindruckenden Lasershow im Lumbini Stadion wollte man die Konflikte zwischen Moslems und Hindi kleinreden und das auch mit dem Märchen von der Hindu-Prinzessin und dem Moslem-Prinzen beweisen, aber ich habe einige Male im Straßenverkehr Konfrontationen zwischen hinduistischen und moslemischen Fahrern miterlebt. Einmal hat ein hinduistischer Mopedfahrer meinem moslemischen Taxifahrer durch das geöffnete Seitenfenster eine Ohrfeige gegeben, weil er ihn angeblich abgedrängt hatte. Die Lasershow ist aber auch heute noch ein Publikumsmagnet.

Das bringt mich zu den Bombenanschlägen im Lumbini Stadion durch moslemische Attentäter einige Monate später, bei denen insgesamt  44 Personen starben. Eine Bombe explodierte exakt in dem Sektor, wo ich mich noch einige Wochen vorher aufgehalten habe. Ich habe das an der gelben Farbe der Bestuhlung erkannt. Ähnlich ist es mir aber auch später in Mumbai und Bangkok ergangen.

Das Verhältnis zwischen den beiden Religionen ist bis heute nicht friktionsfrei, es kommt von beiden Seiten immer wieder zu Übergriffen und auch Attentaten und Morden.

Smog über den indischen Großstädten

In einem Tagebucheintrag schrieb ich über die Luftverschmutzung durch den zunehmenden Flugverkehr, der in den Zeitungen von Hyderabad damals diskutiert wurde. Das allein ist es nicht, es wurden bereits damals hunderte neue Autos pro Tag (!!) nur in dieser einen Stadt zugelassen und die zunehmende Industrialisierung leistete auch ihren Beitrag.

Die Zahl der Autos hat allein in Greater Hyderabad zwischen 2017 und 2024 von 900.000 auf rund 1,5 Millionen zugenommen.

Die Dunstglocke über der Stadt war daher schon damals beinahe undurchdringlich. Heute ist die Stadt nach Delhi, Kolkata und Mumbai an 4.Stelle der indischen Städte mit der höchsten Luftverschmutzung.

Marmorabbau mit Kinderarbeit

Erst Jahre nach meinem Besuch habe ich in Österreich eine Dokumentation über den Marmorabbau in Indien und dessen Export gesehen, wo die Kinderarbeit und die hygienischen Bedingungen thematisiert wurden. Indien ist neben China der größte Marmorerzeuger. Kinderarbeit ist in Indien ebenso verboten wie etwa Schuldknechtschaft, aber beides ist leider noch immer ein wichtiger Faktor. Es gibt zwar auch Zertifizierungen wie etwa für Natursteine Fair Stone und Xertifix, aber es wird aus meiner Sicht noch viele Jahre dauern, bis die Kinderarbeit in Indien komplett verschwunden sein wird.

Die sozialen Gegensätze sind für uns Europäer schwer zu ertragen

Auch wenn ich neben meinem Training ein recht umfangreiches Sightseeing-Programm hatte, war ich doch nach einigen Wochen wieder froh nach Hause zu kommen, die sozialen Gegensätze waren doch recht groß. Andererseits sind manche Gewohnheiten für unsere europäischen Augen eigenartig und ungewohnt. So sind nicht alle, die auf dem Gehsteig schlafen, obdachlos. Es könnte sein, daß es im Haus zu heiß ist, oder sie es einfach nur aus Sicherheitsgründen tun, damit niemand in ihr Geschäft einbricht. Auch wenn für europäische Augen manche Stadtteile slumartig aussehen, sind das Häuser für die unteren Kasten. Den Unterschied habe ich noch krasser bei meinem nächsten Aufenthalt in Mumbai und Goa kennen gelernt.

Als Europäer muß man auch aufpassen, die Relationen nicht zu übersehen. Man kann einem Bettler nicht 100 Rupies (damals rund 50 Cent) geben, wenn das Taxi für eine halbe Stunde zwischen 80 und 150 Rupies kostet.

Heute ist Hyderabad einerseits eine extrem moderne und für Investoren interessante Stadt, andererseits sind auch die Slums und damit auch sozialen Probleme eher gewachsen. Derzeit gibt es in der Greater Hyderabad Municipal Corporation (GHMC) 1452 Slums, von denen in den nächsten 5 Jahren 686 eine bessere Infrastruktur (Trinkwasser-Leitungen, sanitäre Einrichtungen) erhalten sollen.

Persönliches Resümee

Wie ich am Beginn meiner Blog-Serie schon erwähnt hatte, war ich einer der ersten europäischen Capgemini-Mitarbeiter, die zu einem SAP-Training nach Indien fliegen konnten. Daher war es auch als Motivation interessant, den daheim Gebliebenen Einblicke in die Erlebnisse in Indien zu geben und darum wurde ich auch gebeten, diese auf unserer Intranet Plattform „Talent“ zu veröffentlichen.

Einige Jahre später war das dann für neue Kolleginnen und Kollegen zumindest in Deutschland und Österreich, die damals in der DACH-Region vereint waren, schon Teil der Standard-Ausbildung. Danach begann aber bald die Ära der Online Trainings.

Das SAP Training war anfangs recht schwierig, da ich dem Hindi-Englisch zu Beginn nur recht schwer folgen konnte, was aber von Tag zu Tag besser wurde. Das war aber auch eine sehr gute Vorbereitung auf die später noch intensivere Zusammenarbeit mit meinen indischen Kolleginnen und Kollegen bis zum letzten Arbeitstag im November 2023, wo ich einen Teil meiner letzten Aufgaben an ein indisches Team übergeben habe.

Der europäische Cash&Carry Markt wurde vor einigen Jahren an eine indische Kette verkauft und meinen Maßanzug hatte ich noch viele Jahre.

Meine Erlebnisse in Hyderabad abseits der von Europäern oder Amerikanern ausgetretenen Touristenpfade möchte ich aber nicht missen, obwohl sie vom zweiten Besuch dann im September in Mumbai nochmals getoppt wurden. Aber dazu kommt dann eine Serie im Jahr 2025.

*Alle Bilder in diesem Beitrag stammen aus aktuellen Internet-Recherchen

Links

Der alte Flughafen Begumpet
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Begumpet_Airport

Bomben in Hyderabad
https://en.m.wikipedia.org/wiki/August_2007_Hyderabad_bombings

https://www.ndtv.com/india-news/two-convicted-for-twin-blasts-in-hyderabad-in-2007-three-acquitted-sentencing-on-monday-1910887

https://www.derstandard.at/story/1361240725774/sieben-tote-bei-anschlaegen-in-indischer-metropole-hyderabad

https://www.dw.com/de/mehr-als-40-tote-bei-bombenanschl%C3%A4gen-in-s%C3%BCdindien/a-2752364

https://www.tagesspiegel.de/internationales/ethnische-gewalt-in-indien-muslime-und-christen-werden-verfolgt-getriezt-ermordet-10317301.html
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Islam_in_Indien

Luftverschmutzung
https://sigmaearth.com/de/hyderabad-is-the-most-polluted-city-in-south-india/

https://www.siasat.com/hyderabad-at-no-4-among-indias-most-polluted-2439732/

https://telanganatoday.com/more-vehicles-add-to-traffic-chaos-in-hyderabad

Hyderabad vs Mumbai: where better to live 2024

https://www.properties.market/in/blog/upcoming-developing-areas-in-hyderabad-2024/

https://www.properties.market/in/blog/hyderabad-vs-mumbai-city-which-city-suits-your-lifestyle/

https://timesofindia.indiatimes.com/city/hyderabad/rapid-urban-expansion-triggering-ventilation-crisis-in-hyderabad-study/articleshow/115858473.cms

https://www.newindianexpress.com/cities/hyderabad/2010/Dec/28/city-slums-to-be-improved-214588.html

11: Gewürze, Gehälter, Grauer Himmel, Greater Hyderabad

Ich war schon meinen Anzug anprobieren, der wird ziemlich edel! Muss er aber auch, ich bin sicher in einem der teuersten Anzuggeschäfte hier.

Beim Heimgehen hab ich mir noch Socken bei einem Straßenhändler und vorm Hotel noch 6 kleine Bananen um 10 Rp (= ca 20 Cent) beim Bananenhändler gekauft, direkt von der Dolde herunter geschnitten.

Was ich auch einmal feststellen muss, ich habe nicht ein einziges Mal ein ungutes Gefühl gehabt, oder mich nicht wohl gefühlt. Nicht ein einziges Mal ist mir etwas gefährlich vorgekommen, auch nicht spät in der Nacht. Obwohl ich heute durch eine relativ dunkle enge Gasse gegangen bin, habe ich nie das Gefühl gehabt, dass es irgendwie gefährlich sein könnte. Ungute Situationen sind nur mit den Bettlerinnen, da ich mich dabei einfach nicht wohl fühle wenn ich sie nicht beachte. Aber alle sagen mir, dass das die einzige Möglichkeit ist, damit zurechtzukommen

Ich habe mir vom Hotelboy Gewürze besorgen lassen, bin schon gespannt, was er mir morgen so alles bringt.

Das Essen heute im Blue Fox war wahrscheinlich das letzte Mal, weil wir morgen vielleicht etwas gemeinsam machen zu meinem Abschied. Leider ist der Eindruck etwas getrübt, weil mein Biryani mit Lamm (eine Spezialität von Hyderabad, eine Art Reisfleisch) leider mit vielen Knochensplittern versetzt war. Da hab ich, obwohl es sonst sehr gut und natürlich ziemlich scharf war, bei der Hälfte aufhören müssen, damit ich es nicht über den Tisch spucke.

In der Zeitung habe ich heute gelesen, dass man plant, ein „Greater Hyderabad“ durch eine Eingliederung von 12 Umlandgemeinden zu errichten. Diese Megacity soll 700 km2 groß werden und in Kürze die 10 Millionen Einwohnergrenze überschreiten. Natürlich gibt’s da auch Widerstände, aber ich bin sicher, man wird davon auch in Europa hören.

Strenge Sitten herrschen bei der Stadtverwaltung: Angestellte, die ein bestimmtes Formular nicht abgegeben haben, erhalten den Jännergehalt nicht ausbezahlt. So etwas sollte man bei uns einmal versuchen….

Die Luftverschmutzung durch Billigflieger ist hier zu einem Thema geworden. Sie hat in den letzten 6 Jahren um 600% zugenommen. Kein Wunder, gab es am Flughafen von Hyderabad im Jahr 2000 40 Flüge täglich so sind es heute 250 und es werden täglich mehr. Ich persönlich denke aber auch, dass der rasant zunehmende Autoverkehr auch so seinen Anteil hat. Vor einigen Tagen hab ich ein Foto in der Zeitung gesehen, das den Parkplatz vor dem Microsoft-Haus zeigt, er ist voll von Autos, kein Unterschied mehr zu Europa.  In der Stadt wird der Individualverkehr sicher noch weiter zunehmen, da helfen ehrgeizige Öffi-Projekte auch nicht.

Das Wirtschaftswachstum ist rasant, das Bauaufkommen gigantisch, ich denke dass die Stadt in 5 Jahren ganz anders aussehen wird. Die jungen Leute sind alle äußerst motiviert und dazu noch ziemlich gut ausgebildet. Aber, wie unser Kursleiter uns schon am Anfang erklärte, dass für viele die Motivation ist, eine SAP-Zertifizierung zu bekommen, um nach Übersee zu gehen und dort gut zu verdienen. (Nach dem oft plakatierten Slogan „I Want A Dollar Salary“)

Ich habe mich heute mit unserem Kursleiter unterhalten, der sicher zu den Spitzenverdienern gehört, mit seinen umgerechnet 1000 Euro im Monat als Freelancer.  Er meint, daß das Gehaltsniveau in nächster Zeit sicher stärker steigen wird, da die Leute ja auch wissen, was in Europa für die gleiche Leistung gezahlt wird.

Was mir zum Unterschied zu meinen beiden indischen Kollegen von Capgemini aufgefallen ist, dass hier alle sehr proaktiv sind und selbst etwas in die Hand nehmen können. Ich bin froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Nachdem ich mit meinem Manager Christoph besprochen habe, den 2. Teil meines Trainings möglichst in Mumbai zu machen, damit ich auch dort ins Capgemini Office kommen kann, bin ich gespannt, wie es dort sein wird.

Zum Weiterlesen

12: Letzter Kurstag, neuer Anzug und eine hinduistische Verlobungsfeier

Links

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Greater_Hyderabad_Municipal_Corporation

https://sigmaearth.com/de/hyderabad-is-the-most-polluted-city-in-south-india/

Rezepte

Hyderabad Lamm Biryani https://germanabendbrot.de/2023/04/28/kucha-gosht-ki-biryani-oder-lamm-biryani/

Joghurt Dip https://utopia.de/ratgeber/raita-ein-rezept-fuer-den-indischen-joghurtdip_191533/