Auf dem Weg von Agrigento zu unserem nächsten Zwischenziel in der Nähe von Trapani war es noch stürmischer als in den Tagen davor. Das hat uns davon abgehalten, sehr viele Stopps einzulegen. Einen Platz, den mir meine Cousine extra empfohlen hatte, wollten wir uns aber doch nicht entgehen lassen.
Ein Erdbeben wurde etwas anders aufgearbeitet – Gibellina Nuova

Bild: Gibellina nach dem Erdbeben vom Januar 1968 (ARCHIV / ANSA / PAL) / Wikipedia
Im Jänner des Jahres 1968 änderte sich die Welt im Belicetal innerhalb weniger Stunden. Mehr als 200 Menschen waren tot, 600 verletzt und 100.000 verloren ihre Heimat. Eine der betroffenen Ortschaften war Gibellina. Hilfe kam sehr schleppend, der Wiederaufbau kam praktisch nicht in Gang. Der Staat bot ein Ticket zum Auswandern, das von sehr Vielen genutzt wurde.
Erst ein findiger Bürgermeister wollte eine neue Stadt im Stil amerikanischer Gartenstädte, mit Leben erfüllt durch moderne Kunst, entstehen lassen. Rund 8500 Menschen zogen in das für rund 20.000 Einwohner geplante Gibellina Nuova ein, geblieben sind nur rund 3500.
Wenn man heute in die Stadt hinein fährt, wirken die überdimensionalen öffentlichen Bauten und Kunstwerke surreal in ihrer anscheinend dem Verfall preisgegeben Situation. Es ist auch nachvollziehbar, daß der Erhalt dieser Bauten für eine kleine Kommune praktisch nicht möglich ist. Die eher beklemmende Stimmung hält mich sogar vom Fotografieren ab, daher gibt es hier nur ein Bild des Sterns über der Einfahrt in die Stadt aus Wikipedia.

Wir stoppten am einzigen belebt scheinenden Punkt, dem Caffe Moma. Hier sitzen drei alte Männer und unterhalten sich leiser als sonst irgendwo in Sizilien. Daß das symptomatisch für diesen Ort ist, verstehe ich erst bei meinen Recherchen nachher. Der Kaffee und das Panini sind trotzdem sehr gut.
Gibellina Vecchia – eine Decke aus Zement als Mahnmal
Das Cretto von Alberto Burri bedeckt einen rechteckigen Ausschnitt des zerstörten Stadtkernes mit einer etwa 300 × 400 Meter großen und 1,6 Meter Schicht aus weißem Beton, die die historischen Straßenzüge und Baublöcke nachzeichnet. Begehbare Einschnitte über den alten Gassen vermitteln einen Eindruck von der Enge der ursprünglichen Stadt.
Obwohl kein einziges Gebäude sichtbar ist, bekommt man beim Gang durch dieses Objekt ein Gefühl vom in den Trümmern versunkenen Leben in dieser Stadt mit rund 1000 Jahren nicht nur durch das Beben vernichteter Geschichte. Obwohl es einerseits an einen Friedhof erinnert, stellt für mich dieses Kunstwerk auch die Hoffnung der Menschen von Gibellina dar.






Der richtige Friedhof etwas oberhalb dieses riesigen Mahnmals wirkt auf mich einladender als die neue Stadt.
Als politisch denkender Mensch ist Gibellina ein Zeichen für mich, daß die besten Ideen und Pläne nicht mit Leben erfüllt werden können, wenn die betroffenen Menschen dabei nicht mitgenommen werden.

Links und Quellen
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gibellina
https://christianvonholst.de/1-der-hauch-von-kunst-in-gibellina-von-alessandro-burri-in-sizilien/
(Kommentar: der Name des Künstlers ist im Link leider falsch)
https://westofsicily.com/de/interessantes/burris-cretto/
https://westofsicily.com/de/interessantes/gibellina/
https://www.derstandard.at/story/1237229725878/stadt-ohne-seele
https://media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/2553744/baunetzwoche_556_2020.pdf
Zum Weiterlesen
Sizilien 6
